„…aber nicht mit geballter FAUST“

Faust I – Ein großes Werk in zwei Stunden?

Ein Ziel zu haben, wirkt auf uns Menschen beruhigend. Wir wissen, was mit uns anzufangen, wissen, worauf wir hinausarbeiten. Es gibt uns Halt und spendet Trost und Motivation, selbst in schwierigen Zeiten nicht aufzugeben.

Doch was geschieht mit uns, wenn wir realisieren, dass unsere Ziele unerreichbar sind? Zu was kann uns die tiefe Verzweiflung bringen? Wie weit kann solch eine Situation ausarten?

Die Hauptfigur in Johann Wolfgang Goethes Werk „Faust – Der Tragödie erster Teil“ beginnt in dieser trostlosen Ausgangssituation seine Geschichte.

„Da steh ich nun, ich armer Tor! / Und bin so klug als wie zuvor;“, klagte Faust am 29.08.2022 lauthals auf der Bühne des Goethe-Theaters in Bad Lauchstädt, in dem unter Holk Freytags Regie Goethes Werk in einer stark gekürzten Version schauspielerisch dargeboten wurde.

Heinrich Faust ist ein sehr gebildeter Mann, der in vielen Wissenschaftsgebieten studierte, um seinen Wissensdurst zu löschen. Als er realisiert, dass er dieses Ziel dennoch nicht erreichen kann, nagt die Verzweiflung an ihm, die ihm fast sein Leben nimmt, bis er auf Mephistopheles, den Teufel, trifft. Dieser bietet ihm einen Pakt an. Sollte er es schaffen, Faust glücklich zu machen, so schuldete dieser ihm seine Seele im Jenseits. Nachdem der Gelehrte einwilligt, verschafft ihm Mephisto einen Trank, der ihn verjüngen lässt. Auf diese Weise soll er nochmal die Vorzüge der Jugend genießen und sich austoben. So trifft er bald darauf die junge Margarete, alias „Gretchen“, mit der er ein wenig später eine Liebesbeziehung eingeht. Als diese jedoch ungewollt schwanger wird, nimmt das Unglück seinen Lauf.

Dem Regisseur Holk Freytag ist es gelungen das komplexe Werk auf zwei Stunden zu kürzen, wobei er sich auf die beiden Hauptstränge der Tragödie konzentriert. Sowohl Faust und sein psychischer Zustand, der philosophische Fragen aufwirft, als auch die Beziehung zwischen ihm und Gretchen, werden aufgegriffen. Allerdings gerät durch die Kürze die Beziehung zu Gretchen und somit Gretchen selbst zu stark in den Vordergrund, sodass Faust als eigentliche Hauptfigur mit seinen Sorgen und philosophischen Gedanken leicht untergeht.

Durch die Reduzierung auf das Nötigste, sowohl inhaltlich als auch an Requisiten auf der Bühne, bietet sich einerseits die Möglichkeit, sich auf den Text zu konzentrieren, andererseits verebbt die Konzentration, wenn die vorher angekündigte Pause ausfällt. Die gedämpfte Wahrnehmungsfähigkeit gepaart mit den zahlreich ausgelassenen Szenen führen zu verwirrenden Handlungssprüngen, was das Folgen des Geschehens erschwert. So führt Faust beispielsweise den Osterspaziergang anscheinend schnell in seinem Studierzimmer aus.

Jedoch wird durch Einsetzen verschiedener Mittel dem Stück immer wieder eine gewisse Dynamik verliehen, die zwischendurch Abwechslung in die Aufführung bringt. So mischen sich die Figuren ein paar Mal unter das Publikum oder verschwinden und erscheinen wortwörtlich aus dem Boden der Bühne. Auch die Arbeit mit dem Licht wird nicht gescheut, sodass unter anderem mitten im Stück der ganze Saal erleuchtet wird, um den helllichten Tag anzukündigen. Somit wird nicht nur die Aufmerksamkeit der Besucher erhalten, sie wird außerdem zu einer angenehmen Überraschung von der starren Bühne weggelenkt, um das Schauspiel im gesamten Raum zum Leben zu erwecken.  Doch nicht nur außerhalb der Bühne soll das Stück leben. So wird versucht, durch Bilder im hinteren Teil der Bühne Raum zu schaffen und vor allem, um  überwiegend die Natur anzudeuten. Dies soll durch kurze Musikeinlagen unterstützt werden. Diese Maßnahmen lassen zwar das Ziel erahnen, aber bringen tatsächlich nur eine geringe Wirkung zustande. Man hätte zum einen die Bilder lebhafter gestalten müssen, zum anderen mehr Musikeinsätze einbauen sollen, denn so wirkt das Bühnenbild etwas trocken und steif.

Doch die Schwachstellen des Bühnenbildes können die Schauspieler mühelos wieder ausgleichen. Einen kleinen Teil spielen dabei ihre Kostüme. Da das Stück mit Originaltexten aufgeführt wird, erwartet man beinahe, die Darsteller in zeitgemäßer Kleidung auftreten zu sehen. Diese Erwartungen werden jedoch übertroffen, sobald sie auf die Bühne treten und unter anderem der Teufel in einem durchaus modernen schwarzen Anzug in Erscheinung tritt. Auch die anderen Rollen folgen seinem Beispiel, indem sie ebenfalls moderne Alltagskleidung tragen.

Die zeitgemäß aktuelle Kleidungswahl bildet in Zusammenspiel mit den Texten eine interessante Kombination aus Original und Moderne, was das Stück, vor allem für Schüler, realitätsnäher wirken lässt.

Besonders lobenswert sind allerdings, abgesehen von der Kostümwahl, die herausragenden schauspielerischen Fähigkeiten der Rollenbesetzung, die für eine besonders überzeugende Darstellung sorgen. So gelingt es Dirk Glodde die Rolle des Fausts in seiner tief verzweifelten Situation so glaubhaft zu spielen, dass man kaum dazu fähig ist, die Figur vom Schauspieler zu trennen. Insbesondere seine erste Szene hinterlässt einen bleibenden Eindruck, als der Vorhang sich öffnete, er mutterseelenallein an einem einzigen Tisch steht und mit lauter, verzweifelter Stimme sich über seinen trostlosen Zustand beklagt. Zu guter Letzt spielen die Lichteffekte eine enorme Rolle, die immer wieder das Schauspiel, sei es durch Regulierung der Lichtstärke, Wechsel der Beleuchtungsrichtung oder Änderung der Farbe, unterstreichen.

Letztendlich entsteht durch die ausgezeichnete Schauspielkunst kombiniert mit dem bemerkenswerten Einsatz des Lichtes ein besonderer Ausdruck, der noch für eine lange Zeit im Gedächtnis haftet.

In dieser Inszenierung des „Faust[s]“ liegt zwar die Würze nicht in der Kürze, jedoch in der Überzeugungskraft der Darsteller.

Wer zwar Goethes Werk nicht gelesen hat, aber dennoch an Schauspielerei und dieser Kraft sehr interessiert ist, ist in dieser Vorstellung gut aufgehoben.

Diejenigen, die allerdings das Werk nicht kennen oder gar allzu große Liebhaber des „Fausts“ sind, sollten einen Besuch des Stückes überdenken, zum einen, da die weiten Kürzungen zu großen Verwirrungen führen kann. Zum anderen würden bei Faust-Liebhabern eventuell Enttäuschungen auftreten, da Faust als Person durch die stark betonte Beziehung zu Gretchen leicht untergeht.

Wenn nun aber, abgesehen vom Inhalt, das Ziel der Aufführung darin bestand, das Publikum durch die Art und Weise der Darstellung zu bezaubern, so hat sie ihr Ziel nicht verfehlt.

 

Julia Lautenschläger, Jahrgangsstufe 12

Laucha, September 2022

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert